Freier Schriftsteller
Frühjahr 1995
»Alles gut, bleib liegen!«, sagte der Mann, legte dem großen französischen Schäferhund, der neben ihm lag, die Hand auf den Rücken und strich ihm über das lange schwarze Zottelhaar. Schläfrig drehte der Hund den Kopf zur Seite und seufzte.
Mark Lissoni, Westernreiter und Wanderreitführer schob seinen Hut zurück, erhob sich unter der stattlichen Kiefer, die er während der Mittagspause als Rückenlehne genutzt hatte, und ging mit ruhigen Schritten über die Lichtung im Wald. Mittelgroß, zwischen dreißig und vierzig Jahren, muskulös, mit gepflegtem Dreitagebart, verriet sein Mund Entschlossenheit, aber auch sanfte Freundlichkeit. Die Züge spiegelten sich in den klaren, dunkelgrünen Augen wider. Es waren die Augen eines Mannes, der sich viel im Freien aufhielt und es gewohnt war, von Horizont zu Horizont zu blicken.
Die Luft war klar, rein und roch nach warmem Harz und den hohen, alten Kiefern, die sie umgaben.
Für eine Weile war nur das Summen und Zirpen des Sommers über der Lichtung zu hören, die sich die Reiter für ihre Pause gesucht hatte. In der Wiese ringsum verstreut, lagen Sättel, Stiefel und Decken.
Dazwischen standen sieben Pferde, zwei davon Ponys, und grasten friedlich. Keines der Tiere trug ein Halfter, ausgenommen eine braune Stute. Der Mann umrundete die Gruppe der Pferde, nickte den Mädchen zu, die es sich im Schatten des Waldrandes bequem gemacht hatten und sich leise unterhielten, und blickte suchend den Weg entlang, den sie gekommen waren. Er griff in das Halfter der Stute. Sie war unruhig. Beinahe nervös. Ihre Ohren drehten nach allen Seiten und die Muskeln an ihren Flanken zuckten.
Fahrig stieg sie einige Schritte rückwärts, die Nüstern gebläht und sog tief die Luft ein. Witterte und suchte nach Anzeichen von Gefahr. Ihr Schweif peitschte die Luft, bereit zur Flucht. Davonzustürmen wie der Wind, sowie sich dies als letzter Ausweg anbot.
Allein die Ruhe des Mannes bot ihr Halt. Seine Anwesenheit als Puffer zwischen Bedrängnis und Flucht. Sachte streichelte er sie am Hals und sprach ruhig auf sie ein. Die anderen Pferde hatten schon eine ganze Weile ihre Ohren tanzen lassen und nach Osten gespäht.
In den Wald. Nun hoben sie einträchtig die Köpfe.
Fröhlich und unbeschwert lachend, laufend und springend kam eine Gruppe von Kindern zwischen den Bäumen hervorgetobt, ihre Eltern in gelassenem Abstand im Schlepptau, und verstummten, als sie die Pferde sahen.
Schüchtern, mit großen Augen die Blicke gebannt auf die Herde gerichtet, kamen sie näher. Zurückgehalten von den gezischten Anweisungen ihrer Eltern und einem ungewissen Respekt gegenüber den Tieren, die frei und ungebunden auf der Wiese mitten im Wald standen.
»Schaut, toll, Pferde. Und da, zwei Ponys!«
»Dürfen wir sie streicheln?«
»Beißen die denn?«
»Laufen die nicht davon?«
»Hallo Pferde!«
»Nicht so nah dran.«
Langsam kamen die Kinder näher. Staunend. Neugierig wie scheue Fohlen. Bereit, die Welt um sie herum kennenzulernen und doch achtsam vor den Gefahren, die da draußen lauerten.
Noch nie hatten sie Pferde in so unmittelbarer Nähe gesehen. Vor allem die Ponys faszinierten sie.
Das eine schlank und kohlrabenschwarz glänzend. Das andere mit schneeweißem Fell, dicht und flockig wie die Plüschpferde, die in ihren Puppenstuben standen.
Zielstrebig steuerten sie auf die Ponys zu. Die einen streckten ihnen mutig ihre Hände entgegen, bereit sofort zurückzuweichen, die anderen drei Schritte davor, unsicher abwartend.
»Bitte die Ponys nicht streicheln. Sie fressen und wollen nicht gestört werden«, erklärte Mark in gelassenem Tonfall und wandte sich an die Eltern.
»Sie sind friedlich. Aber es könnte sein, dass eines der Tiere nach einer Pferdebremse schnappt oder schlägt und unabsichtlich ein Kind verletzt.«
Er sah auf die Kinder, die enttäuscht die Arme hängen ließen.
»Ihr dürft die Stute hier streicheln, wenn ihr wollt. Sie ist friedlich und mag Kinder gerne«, meinte er, und klopfte dem Pferd neben ihm auf den Hals.
Ein kleines rothaariges Mädchen hüpfte vor Aufregung. Sie zog an der Jacke eines älteren Mannes. Der lächelte verständnisvoll. Und sofort fassten behutsame Kinderhände in das sonnenwarme Fell, kraulten ihren schlanken Hals und die Schulter und das Pferd drehte neugierig den Kopf in die Richtung der kleinen Menschenwesen. Sah nach den kitzelnden Fingern, was die Kinder sogleich einige Schritte zurückweichen ließ, um mit der Bestimmtheit der Unbefangenheit wieder nachzurücken und erneut dem großen Tier ins Fell zu fassen.
Sachte streichelten, kraulten und berührten sie vertrauensvoll das Tier. Jeder auf seine Weise, mit offenen Mündern und riesigen Augen. Das kleine rothaarige Mädchen stellte sich ganz nahe an die Stute heran und strich ihr über die Stirn und zwischen den Ohren, was ihr ein entrücktes Schnauben in ihr verdutztes Gesicht einbrachte.
Einen langen Moment kämpften verhaltene Angst, Abscheu, aber auch Entzücken in ihrer Miene, bis schließlich eine zufriedene Gelassenheit die Oberhand gewann. Sie strahlte mit breitem Grinsen in Richtung des älteren Mannes. Eine Frau mittleren Alters in erdfarbener Kleidung und dunkler Sonnenbrille trat näher und ließ ihre Hand über Kinderköpfe hinweg durch das Fell des Pferdes wandern.
»Sie fühlt sich so weich an«, sagte sie und genoss es, sichtlich erstaunt, die Wärme der Sonne im Fell des Pferdes zu spüren und das lebhafte Zucken der Haut zu fühlen, mit dem die Stute auf das Kitzeln der Finger reagierte.
»Wie alt ist sie?«
»Was ist sie für ein Pferd. Ich meine welche Rasse?«
»Ist sie schnell?«
»Kommt sie, wenn du sie rufst?«
Die Fragen der Kinder schwirrten durch die Luft und ließen Mark kaum Zeit für Antworten.
»Sie ist vier Jahre, eine Araber-Isländer Mischung und kommt meistens, wenn ich sie rufe. Aber nicht immer.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir arbeiten daran und es wird besser.«
»Wie heißt sie?«, fragte ein blondes Mädchen mit großen haselnussbraunen Augen, die aus ihrem schmalen Gesicht heraus zu leuchten schienen. Sie war etwa zehn oder elf Jahre und drehte Mark den Kopf entgegen, ohne die Hand von dem Pferd zu lassen.
»Samantha«, erwiderte er und das Mädchen wandte sich wieder um und flüsterte: »Hallo Samantha. Schönes Pferd!«
Ein Zug Wildenten flog schnatternd über die Lichtung, unbeachtet von der Gruppe der Wanderer, nur die Mädchen unter den Bäumen hoben die Köpfe. Ihre Rufe hallten noch nach, als sie längst nicht mehr zu sehen waren.
Die anderen Pferde der Herde wurden allmählich unruhig. Sie waren satt gefressen und schlugen nach Mücken und Pferdebremsen, die sie längst gefunden hatten und zunehmend lästiger wurden.
»Wir müssen weitergehen«, wandte Mark sich an die Kinder und die Wanderer. »Es wird Zeit für uns.«
Er ließ seine Blicke über die Lichtung schweifen.
»Diana, Sabine, es geht los, wir brechen auf!«
Die Mädchen, die offensichtlich nur noch auf sein Zeichen gewartet hatten, sprangen auf die Beine, holten Zaumzeug und Zügel und legten sie ihren Pferden an. Mark schnallte Samantha die Zügel ein und drückte sie dem rothaarigen Mädchen, das vor der Stute stand, in die Hand.
»Halt mal bitte!« Verdutzt sah sie ihn an. Mit großen, grün-braunen Augen, die ungläubig blinzelten, während er die Satteldecke und den schweren Westernsattel holte und beides behutsam auf den Rücken der Stute legte.
»Okay! Danke!«
Mark nickte dem Mädchen zu, nahm ihr vorsichtig die Zügel aus der Hand und führte die Stute zu den anderen Pferden. Aufmerksam beobachtet von Kindern und Erwachsenen.
Behäbig erhob sich der große Schäferhund aus dem Gras, streckte sich gemächlich und machte sich auf, die Wanderer, die er bis jetzt großzügig ignoriert hatte, zu begrüßen.
»Was ist denn das?«, entsetzte sich eine Frau und streckte dem Hund, den sie bis dahin nicht wahrgenommen hatte, abwehrend die Hand entgegen.
»Arco, steh!«, rief Mark und der Schäferhund erstarrte zur Statue, aufmerksam den Kopf erhoben. Verschwunden war der träge Ausdruck in seinen Augen und seinem Auftreten.
Gebannt blickte die Wandergruppe zu dem schwarzen Hund, der mit seinen sechzig Kilo und dem Stockmaß von knapp achtzig Zentimetern beeindruckend groß aussah. Sein zottiges Fell glänzte matt in der Sonne. Er war nur unwesentlich kleiner als das schwarze Pony.
»Es ist in Ordnung«, rief Mark und wandte sich an die Frau. »Er wird ihnen nicht zu nahe kommen.«
Er stieg in den Sattel und lenkte sein Pferd zu dem Hund. Mit einem Handzeichen forderte er ihn auf, neben ihm zu gehen, um die Frau nicht erneut zu erschrecken, und die Reiter setzten sich in Bewegung.
Sie ließen die Pferde eine Weile laufen, um der Hitze des Tages, die über der Lichtung lag und deren Quälgeister zu entfliehen. Die Luft im Wald war kühl und sie genossen den Wind, der ihnen in die Gesichter fuhr und die Haare zauste. Nur wenige Kilometer weiter wand sich in sanften Kurven ein schmaler Wasserlauf durch den Wald und kreuzte ihren Weg. Hier tränkten sie die Tiere. Der Hund lief freudig bellend den Bach entlang und planschte übermütig im kalten Nass.
Die Reiter nutzten die Pause, um aus ihren Wasserflaschen zu trinken und die Beine durchzustrecken. Dann ging es im Galopp eine weite Strecke mit leichtem Anstieg einen Hügel bergan. Immer höher führte sie der Weg den Berg hinauf. Für eine Weile war nur das trommelnde Stakkato der Hufe auf trockenen Boden, und das schwere Schnaufen und Schnauben der Pferde zu hören. Oben angekommen öffnete sich der Wald und vor ihnen breitete sich mit überwältigender Aussicht das weitläufige Land aus, das rechter Hand nach Westen zu in steilen Hängen abfiel. Sie parierten die Tiere zum Schritt durch und ließen die Augen über die schier unendlich scheinenden Hügel, Wiesen und Wälder, die zu ihren Füßen lagen, schweifen.
Vereinzelt waren weit unten zierliche Häuser und Gehöfte zu sehen. Auf grauen, bleistiftdünnen Strichen, die sich in Schlangenlinien dahinzogen, bewegten sich winzige Fahrzeuge im Schneckentempo dahin. Für Kinderhände gebasteltes Spielzeug einer fernen Spielzeugwelt.
Irgendwo im Südwesten über einem Wäldchen, beinahe auf gleicher Höhe mit ihnen, schwebte majestätisch ein großer Raubvogel in der Luft und zog seine Kreise. Schwerelos.
Als ob er schon seit Urzeiten seine Flugmuster in den blaugrauen Himmel zeichnen würde. Leise war sein Ruf zu hören. Dann verschwand er hinter den Bäumen vor ihnen und kam wieder, verschwand er und kam wieder. Nur ein schmaler Fleck vor der Sonne.
Mit einer unbewussten Bewegung schob der Mann seinen Hut in den Nacken.